Hans Bächle ist der Schulleiter des Deutsch-Französischen Gymnasiums Saarbrücken, das Interview wurde am 19.02.2016 am Rande der Fachkonferenz „Schulen grenzenlos vernetzen“ aufgezeichnet.
NT: Herr Hans Bächle, Schulleiter des DFG-Saarbrücken, 20 Jahre deutsch-französische Schulkultur.
HB: Schon ein bisschen länger. 54 Jahre. 55 werden es dieses Jahr sein. Die Schule ist ’61 gegründet worden, also noch zwei Jahre vor dem Elysée-Vertrag. 2011 hatten wir fünfzigjähriges Jubiläum.
NT: Und fünfzig Jahre deutsch-französische Schule, was kommt Ihnen da als erstes in den Kopf?
HB: Sicherlich, wenn ich jetzt meine Zeit überblicke, das sind jetzt neun Jahre, das war die Zeit, in der wir es geschafft haben, die Schule so zu gestalten, dass sie den Namen auch verdient. Denn über einige Jahrzehnte hinweg waren zwar Franzosen und Deutsche unter einem Dach an dieser Schule, aber es waren zwei Abteilungen, die hießen ‘Sections’, also streng getrennte Abteilungen, deutsche Klassen, französische Klassen, und erst mit der Zeit hat es sich entwickelt, dass sich zunehmend dann auch im Unterricht französische und deutsche Schülerinnen und Schüler begegnet sind. Und ich habe dann bei meinem Amtsantritt die völlige Integration eingeführt, das heißt, jetzt sitzen schon zehn- und elf-Jährige Franzosen und Deutsche zusammen im Klassenzimmer. Zu Beginn nur in wenigen Fächern, also in der neuen Fremdsprache, die sie lernen, in Englisch, in Sport, in Musik und in Kunst, und ab Klasse acht haben wir jetzt deutsch-französische Klassen, so dass die Sprachen gleichberechtigt verteilt sind und wir jetzt wirklich von einem voll integrierten deutsch-französischem Gymnasium sprechen können. Das ist das, was mir in erster Linie einfällt.
NT: Das heißt, jeder Schüler und jede Schülerin an Ihrer Schule kann beide Sprachen?
HB: Jeder Schüler und jede Schülerin kann beide Sprachen und geht am Ende der Schullaufbahn deutsch-französisch zweisprachig ab, aber im Endeffekt sogar drei- bis viersprachig, denn die Schüler lernen auch von Anfang an Englisch und lernen auch ab Klasse acht Spanisch, so dass die Schüler wirklich multilingual werden. Natürlich in der Partnersprache – wir sprechen beim Französischen nicht mehr von der Fremdsprache, genau wie für die Franzosen an unserer Schule Deutsch die Partnersprache ist – erreichen sie dann ein Level C1.
NT: Wir haben hier in der deutsch-polnischen Grenzregion die Sprachbarriere als großes Problem, das scheint ja an ihrer Schule gut geregelt zu sein. Was sind denn ansonsten Schwierigkeiten?
HB: Die Sprachbarriere ist natürlich zunächst die größte, die es zu überwinden gilt. Nun haben wir in der deutsch-französischen Grenzregion sehr viele bi-nationale Ehen, so dass Zweisprachigkeit teilweise schon bei der Ankunft vorliegt. Aber unsere Mission ist natürlich auch, noch einsprachige Kinder zu zweisprachigen zu machen. Das ist eine Schwierigkeit, das ist zwar ein langer Lernprozess, aber sicherlich nicht die größte Schwierigkeit, bei einem binationalen Unternehmen. Andere Schwierigkeiten liegen insbesondere in den großen sehr unterschiedlichen schulischen Kulturen. Auch wenn Deutschland und Frankreich lange befreundet sind und beides europäische Industriestaaten sind, unterscheiden sie sich im Schulbetrieb und bei den Schulsystemen erheblich. Das fängt an bei der unterschiedlichen Dauer der weiterführenden Schulen: fünf Jahre Grundschule in Frankreich, vier Jahre Grundschule in Deutschland. Acht Jahre bis zum Abitur in Deutschland, dann nur sieben für die Franzosen. Die Franzosen haben Trimester, wir haben Semester. Es gibt eine andere Lehrer-Schüler-Beziehung, es gibt eine andere Konzeption von Unterricht, es gibt eine andere Art von Leistungsmessung, und in dem Maße, wo sie jetzt, wie ich vorhin sagte, diese Vollintegration haben, haben Sie jetzt nicht nur eine Schülerschaft, die sich ja noch relativ schnell an diese Begegnung gewöhnt; wir haben auch eine integrierte deutsch-französische Elternschaft. Wir haben Elternabende mit französischen und deutschen Eltern und ihren unterschiedlichen Erwartungen an Schule. Wir haben in den Klassen ein Lehrerkollegium, das binational ist. Da wird unterschiedlich gearbeitet und das ist, aus meiner Sicht, die schwierigste Aufgabe gewesen in den vergangenen Jahren, hier zu einer Harmonisierung zu kommen. Und Harmonisierung heißt für mich ja nicht, dass alle im Gleichschritt gehen, sondern dass jeder sich irgendwo in seiner Kultur wiederfinden kann. Auf der anderen Seite sind wir als Schule, die ihren Standort in Deutschland hat, an die deutschen Regelungen und Gesetze gebunden. Und hier galt es in langen Diskussionen Kompromisse zu finden, wie man mit diesem Mischsystem leben kann und sich da auch mit seiner jeweiligen Kultur wieder finden kann.
NT: Sie sprachen jetzt die unterschiedlichen Kulturen an. Gibt es Konflikte oder Probleme, die nicht an den Schulsystemen und Verwaltungsstrukturen in den einzelnen Ländern liegen, sondern an nationalen Stereotypen und Rassismen?
HB: Nein. Das kann ich mit einem klaren Nein beantworten. Das liegt natürlich auch daran, dass die Schule schon eine so lange Tradition hat. Nun hab ich die Anfänge dieser Schule nicht erlebt. Ich weiß natürlich aus der Historie – das Saarland war ja zunächst nach dem Krieg unter französischer Verwaltung, es war unklar, wo kommt das Saarland hin, wird es an Frankreich angegliedert oder wird es an die Bundesrepublik angegliedert. Meine Schule war damals ein Lycée Français, im Prinzip mit dem Ziel, die im Saarland lebenden Franzosen zu beschulen und in der Zeit, als es dann unklar war, wohin wird sich das Saarland entwickeln, gab es dann auch sehr schnell sehr viele Saarländer, die ihre Kinder dann auch an diese Schule geschickt haben, mit der Absicht, dass die Kinder Französisch lernen, denn man weiß ja nie, was denn noch kommt. Nach der Saar-Abstimmung ’55 gab es dann, ich will jetzt nicht von Rassismus sprechen, aber es gab sicherlich gewisse Animositäten, von saarländischer Seite aus den Franzosen gegenüber. Es gab sogar eine Phase von ein, zwei Jahren, wo saarländischen Kindern die Einschreibung in dieses Lycée-Français verboten wurde. Aber dann sehr schnell, 1959 kam dann schon die Idee auf, ein deutsch-französisches Gymnasium zu gründen, das dann auch 1961 tatsächlich entstanden ist. Und von da an haben Sie dann dieses tägliche Miteinander, ich meine Begegnungen sind ja der Schlüssel zum Aufheben von Klischees und von falschen Bildern über den Nachbarn. Das ist mittlerweile eigentlich völlig überwunden. Ich kann nicht feststellen, dass es irgendwelche rassistische Elemente geben würde an unserer Schule. Das haben wir nicht, wir sind auch eine multikulturelle Schule. Wir haben Schüler aus 24 Nationen. Wir haben auch sehr viele Kinder aus dem frankophonen Afrika, wir haben Kinder aus dem frankophonen Nordafrika, aus dem Maghreb. Also Muslime, Katholiken, laizistische Franzosen. All das funktioniert sehr gut.
NT: Eine letzte Frage: Wenn sie sich etwas für ihre Schule in der deutsch-französischen Grenzregion wünschen könnten, was wäre das?
HB: Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wäre es, dass noch mehr deutschsprachige, rein deutschsprachige Kinder bzw. Eltern sich für diese Schule entscheiden könnten. Wir haben ja im Augenblick im Saarland eine von der Regierung lancierte sogenannte Frankreich-Strategie. Ziel der Landesregierung ist es, innerhalb einer Generation, also innerhalb von dreißig Jahren die Zweisprachigkeit im Saarland zu erreichen. Das ist, glaube ich, noch ein weiter Weg bis dahin und da würde ich mir wünschen, dass wir hier noch stärker eine Rolle spielen könnten.
NT: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Nikolaus Teichmüller.