Michael Christiansen ist Lehrer in der Europaklasse der Friedrich-Paulsen Schule Niebüll, das Interview entstand am 19.02.2016 im Rahmen der Fachkonferenz „Schulen grenzenlos vernetzen“.
NT: Michael Christiansen von der Friedrich-Paulsen-Schule Niebüll, Sie stellen heute auf der Fachkonferenz “Schule grenzenlos vernetzen” Ihre Schule vor. Mögen Sie ein paar Sachen zu Ihrer Schule in der Grenzregion sagen? Wie ist das Leben im Klassenraum, in der Schulgemeinschaft, in der Lehrerschaft?
MC: Alle, die von Außen kommen, sagen, dass unsere Schülerschaft eine gute ist, dass sie überwiegend noch aus behüteten Familien kommen. Das gilt auch für die Schule in Tondern. Die Mentalitäten, die Kulturen sind ähnlich, trotz der Grenze dazwischen. Und die meisten Kollegen – auch wenn sie zunächst geschockt sind, wenn sie hören, dass sie nach Niebüll müssen in die Provinz – bleiben dann doch gerne oder trauern der Zeit in Niebüll nach, wenn sie versetzt werden. Das gilt auch für Tondern, soweit ich das überblicken kann.
NT: Tondern liegt direkt an der Grenze?
MC: Ja, die beiden Orte liegen 22 Kilometer auseinander. Tondern ein bisschen dichter an der Grenze. Und sie sind verbunden durch eine Bundesstraße auf deutscher Seite und einer Landesstraße auf dänischer Seite. Man kommt problemlos hin und her. Und eine Zugverbindung gibt es auch noch.
NT: Wie setzt sich die Schülerschaft zusammen?
MC: In der Kooperationsklasse, die mit dem 11. Jahrgang beginnt und zum deutschen und dänischen Abitur führt, ist es auf dem Papier so, dass die Klasse zu einer Hälfte aus deutschen Schülern und zur anderen aus dänischen Schülern zusammengesetzt sein soll. In Wirklichkeit ist es aber bisher meist so gewesen, dass das dänische Kontingent nur aus wenigen Schülern bestand, die auch in Dänemark wohnten. Den größeren Anteil machten Jugendliche der dänischen Minderheit aus, die also in Deutschland wohnen, aber dort das dänischsprachige Schulsystem der Minderheit bis zur Klasse 10 besucht haben. Insofern war es immer schon eine gemischt-sprachige Klasse, bloß die Wohnsitze der Schüler waren ungleich verteilt.
NT: Was kann man über eine solche Klasse sagen? Wie äußert sich das?
MC: Es ist immer ein gemischtes Lehrerteam, in dem unterschiedlich gut die jeweils andere Sprache gesprochen wird, oder Englisch, was in manchen Fächern auch Unterrichtssprache ist. Das Unterrichtsgeschehen und das soziale Miteinander ist schon ein Spezielles wegen der unterschiedlichen Herkünfte und Schulkulturen. Die fachlichen Niveaus, die die Schüler mitbringen in diese Klassen, sind unterschiedlich in den Sprachen, die Kompetenzen in den Arbeitsmethoden sind oft unterschiedliche. Es ist am Anfang immer ein sehr bunter Haufen. Am Ende ist es auch immer noch ein bunter Haufen, der aber stark zusammen gewachsen ist und alle, wirklich alle Schüler, auch Jahre später, sagen heute noch, dass es eine ganz besondere Erfahrung war und dass sie viel mehr gelernt haben, als im Unterricht vermittelbar war. Das läßt sich am besten als Kultur-Kompetenz beschreiben. Ein Beispiel davon ist, dass eine Mutter mir mal erzählt hat, sie könne am Stil der Kleidung erkennen, ob ihre Tochter auf eine dänische oder eine deutsche Party gehe. Und so färbt das Ganze dann auch ein bisschen in die Familien mit ab. Auch an den späteren Lebenswegen der Schüler kann man sehen, dass sie in dieser Klasse Fähigkeiten mitbekommen haben, ohne dass diese auf dem Lehrplan standen, die sie dann befähigen, sich in beiden Arbeitskulturen sicherer zu bewegen als so manch Anderer. Die Lehrpläne haben wir damals in der Konzeption der Klasse zusammengesetzt aus deutschen Lehrplänen, aus dänischen – da gab es vom dänischen Ministerium hinsichtlich der Fächer Dänisch und Geschichte enge Vorgaben – und aus Lehrplänen der Europäischen Schulen, z.B. für Biologie. Also auch das ein bunter Haufen.
NT: Und die Klassen heißen Europaklassen?
MC: Ja, so hießen sie ursprünglich. Wir haben dann zwischendurch, um die Attraktivität für die dänischen Schüler zu erhöhen, ihnen einen anderen Namen gegeben. Sie hieß dann Internationale Klasse, aber in der Region und auch dem Kollegium, im Sprachgebrauch ist es die Europaklasse geblieben.
NT: Wenn wir schon bei dem Namen sind: Was ist Europa in der deutsch-dänischen Grenzregion?
MC: Ja, davon haben Leute unterschiedliche Auffassungen, Definitionen. Für viele Dänen ist Europa wahrscheinlich hauptsächlich der noch unbeschränkte Grenzübertritt zum Einkauf von Spirituosen und Süßigkeiten im deutschen Grenzhandel. Für die Deutschen ist das der kontrolllose Übergang in die Sommerhäuser oder allgemein in den Urlaub in Skandinavien. Für die älteren Herrschaften ist es vielleicht weniger Europa, sondern vielmehr die Grenzregion an sich und die Tatsache, dass die ältere Generation südlich und nördlich der Grenze immer noch bestimmte Traditionen hat, die sich gleichen, oder man das Plattdeutsch noch nördlich der Grenze, wie das Plattdänisch noch südlich der Grenze findet. Es ist schon noch ein typisch europäischer Misch-Masch-Raum, der natürlich wie alle anderen europäischen Grenzräume auch durch den Nationalismus gelitten hat und anscheinend dabei ist, wieder mehr darunter zu leiden. Aber wir hatten natürlich die Hoffnung, dass wir durch diese Europaklasse auch dazu beitragen, dass wieder zu beleben, diese Mischkultur. Ob das wirklich dazu kommen wird, wage ich momentan zu bezweifeln.
NT: Was sind momentan die Hauptschwierigkeiten?
MC: Immer noch, wie von Anfang an, das mangelnde Interesse auf der dänischen Seite von den dänischen Schülern. Das ist nach wie vor so und das macht es dann auch schwer, so eine Klasse einzurichten auf deutscher Seite. Viele Leute, die sich nicht so eng damit beschäftigen, stellen dann gern gleich die Sinnfrage “Ja, wenn da aber 20 Deutsche sitzen und nur 4 Dänen, dann hat das doch gar keinen Sinn, oder?”, Wenn man nicht selbst in dieser Klasse unterrichtet, kann man von außen nur schwer erkennen, dass es trotzdem sehr viel Sinn ergibt, diese Klassen einzurichten. Das ist die Hauptschwierigkeit nach wie vor. Und auch, dass in der Lehrerschaft auf beiden Seiten, nicht bei allen, kein so großes Bewusstsein der historischen und aktuell politischen Dimensionen besteht, die in so einer Klasse natürlich auch immer mitschwingt. Das ist auch ein Problem.
NT: Wenn sie sich etwas für ihre Schule für ihre Grenzregion wünschen könnten, was wäre das?
MC: Eine Institutionalisierung dieser Klasse, die von den Ministerien auf beiden Seiten unterstützt wird. Die also nicht davon abhängt, ob nun sich 12 dänische Schüler anmelden oder nur 8 oder nur 4, sondern dass es einfach eine Daseinsvorsorge für die europäische Grenzregion sein sollte. Die Klasse wird einfach eingerichtet und alle, die daran teilnehmen möchten, sind willkommen. So wie man auch selbstverständlich Mathematikunterricht bis zur 13. Klasse unterrichtet, auch wenn freiwillig sich vielleicht nicht so viele dafür anmelden würden, oder wie man Schwimmhallen betreibt, die sich vielleicht auch nicht immer wirtschaftlich in unserem strukturschwachen Raum rechnen, so sollte so eine Klasse auch von der Gesellschaft, von beiden Gesellschaften, der dänischen und der deutschen, eingerichtet und getragen werden.
Zumindest aber – und erst recht in Zeiten wie diesen, da der Nationalismus wieder sein häßliches Haupt erhebt – sollte an allen Schulen unserer Grenzregion noch mehr dafür getan werden, ein Bewußtsein zu schaffen, dass gerade die Grenzregionen mit ihren kulturellen Überschneidungen etwas typisch europäisches sind, etwas, das Europa manchmal anstrengend aber viel öfter noch spannend und reich macht.
NT: Vielen Dank.
Das Gespräch führte Nikolaus Teichmüller.