Das Interview entstand auf der Translimes-Konferenz am 19.2.16
NT: Volker Staudt vom Deutsch-Luxemburgischen Schengen-Lyzeum. Letztes Jahr war die erste Abiturklasse in Ihrer Schule. Was sind die Erfahrungen von sechs, sieben Jahren?
VS: Acht Jahren. Wir sind jetzt im neunten Jahr. Die Erfahrungen sind nur positiv. Wir haben es geschafft, die Schülerinnen und Schüler von beiden Seiten der Grenze zu integrieren. Wir haben ein sehr hohes Maß an Integration. Und wir haben es geschafft, dass bei den verschiedenen Abschlüssen, die wir haben, wir eine Bestehensquote von 98 Prozent haben. Das heißt also sowohl das Thema Integration, das Leben auf der Grenze, die Gemeinsamkeiten sind gelebt, als auch die entsprechenden Leistungen werden gebracht.
NT: Ihre Schule ist vor allem mit einem Profil für Projektarbeit aufgestellt. Wie kann man sich das konkret vorstellen im Schulalltag?
VS: Wir versuchen neben dem Unterricht, der natürlich auch sehr wichtig ist, und in dem wir eine neue Lernkultur versuchen zu implementieren, aber neben dem Unterricht versuchen wir auch andere Dinge mit einzubringen. Ich sage immer: Schule ist mehr als Unterricht. Wir müssen also rausgehen zu außerschulischen Lernorten, wir müssen uns zu Partnern sowohl in der Region als auch in ganz Europa bewegen, wir müssen an Projekten teilnehmen, um die Schülerinnen und Schüler zu einer interkulturellen Kompetenz zu führen, die es eben möglich macht, dass sie lernen, im gemeinsamen Europa zu arbeiten. Sie sollen die Möglichkeit bekommen, im Arbeitsmarkt Europa zu bestehen. Und das kann man nicht nur mit Schulbildung erreichen, dazu muss man zusätzliche Kompetenzen erwerben.
NT: Meinen Sie, das Thema Europa ist in der deutsch-luxemburgischen Grenzregion prominenter als beispielsweise in der deutsch-dänischen oder deutsch-polnischen?
VS: Ich glaube, es ist nicht prominenter als in der deutsch-dänischen und sogar weniger prominent als in der deutsch-polnischen Region. Denn gerade im Verhältnis Deuschland-Polen habe ich den Eindruck, dass dort sehr viele Projekte gemacht werden. Wenn man in Polen unterwegs ist, sieht man überall diese Schilder „Interreg – gefördert aus Mitteln der Europäischen Union“. Das sieht man bei uns seltener. Das ist bei uns auch der Fall. Natürlich ist es im Moment auch etwas brisant: Durch die neue Wahl in Polen und die zumindest in der Presse dargestellte Umorientierung oder Zurücknahme von Dingen wird das Thema hier noch prominenter. Aber ich denke mir, auch dort in der Region ist man auf einem normalen Weg, das hat sich – glaube ich – auch alles wieder beruhigt. Es wird, wie man sagt, nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird.
NT: Nun war nach dem 13. November 2015, nach den Anschlägen in Paris, die deutsch-luxemburgische Grenze oder zumindest die deutsch-französische geschlossen. Wie hat sich das auf den Schulalltag ausgewirkt? Beziehungsweise anders gefragt: Würde Schengen, wie es gerade diskutiert wird, aufgehoben, was würde das für die Schule bedeuten?
VS: Wir hatten gerade in der letzten Woche ein Filmteam der ARD bei uns, die gerade gefragt haben: Was würde es für die Schule bedeuten, wenn die Grenzkontrollen wieder eingeführt würden. Ich muss dazu sagen: Es hätte fatale Folgen in zwei Richtungen. Die erste Folge wäre, dass unserer Schule die Luxemburger Schülerinnen und Schüler komplett wegbrechen würden und wir könnten damit in acht, neun Jahren die Schule schließen. Das wäre also die eine Sache, denn die Schülerinnen und Schüler und die Lehrerinnen und Lehrer übrigens auch, hätten es viel einfacher, nach Luxemburg in die Stadt zu fahren und dort in eine Schule ihrer Wahl zu gehen, als es nach Schließung der Grenzen der Fall ist. Denn nach der Schließung der Grenze und der stärkeren Grenzkontrollen müssten sie eine halbe bis dreiviertel Stunde zwei Mal täglich einplanen – für den Hin- und Rückweg. Das zweite ist: Das hätte auch fatale Folgen für die Integration von uns. Wir sehen uns als eine Schule an, die wie gesagt die Integration vorantreibt und somit sehen wir uns als kleine Keimzelle Europas. In kleinen Schritten zu einem großen, vereinten Europa – dazu wollen wir beitragen. Und das hier wäre genau die Gegenbewegung. Man würde uns hier das Wasser abgraben und damit hätten wir Europa schon von Anfang an wieder vor Grenzen, vor Barrieren und damit auch vor Schwierigkeiten.
NT: Wenn wir jetzt die Befürchtungen einer hoffentlich nicht entstehenden Zukunft ansprechen, was würden Sie sich denn für die Zukunft wünschen? Was wäre gut für Ihre Schule?
VS: Zunächst müssen wir einmal alle in Europa schauen, dass wir die Flüchtlingsproblematik händeln, dass wir dort gemeinsame Wege in einem gemeinsamen Europa finden. Wir können kein Europa haben der Banken-Rettung und der Konzerne. Wir müssen ein Europa haben, dass auch ein menschliches Antlitz zeigt und dort müssen wir alle gemeinsam tätig werden. Vor diesem Hintergrund denke ich mir, müssen wir daran arbeiten, Europa weiter zu entwickeln und wenn wir das geschafft haben, dann kommen erst die Wünsche wieder, die wir in der Region haben, dass wir hier zusammen leben, zusammen arbeiten. Wir haben auch entsprechende Projekte, die wir gemeinsam fördern. Zum Beispiel: Berufsorientierung, Berufswahlvorbereitung für die Großregion. Ich wünsche mir, dass Schülerinnen und Schüler von uns im Nachbarland Betriebspraktika durchführen – für 14 Tage, drei Wochen dort leben, und dass wir die Lehrerinnen und Lehrer auf das Leben und den Arbeitsmarkt in der Großregion vorbereiten. Denn ich glaube, es ist so, dass die Lehrerinnen und Lehrer diejenigen sind, die ganz wenig von dem Arbeitsmarkt jenseits der Grenze wissen. Und ohne sie schaffen wir es nicht, die Schüler zu motivieren, ihre Mobilität zu steigern und ihnen klarzumachen, dass das Zusammenleben auf der Grenze eben ein Geben und ein Nehmen ist.
NT: Letzte Frage: Die Großregion „Saar-Lor-Lux“, die Sie ansprachen, ist in der Forschung „Europäische Grenzregionen“ immer ein bisschen in der Vorbildrolle. Man wagt gar nicht, über andere Dinge zu sprechen, weil dort schon alles umgesetzt und ausprobiert wurde. Wenn der große Vorreiter, die „Saar-Lor-Lux-Grenzregion“, einen Tipp für die deutsch-polnische hätte, was wäre das?
VS: Ein Tipp für die deutsch-polnische Bewegung und die deutsch-polnische Grenzregion wäre, nicht den Fehler zu machen, der bei uns in der Großregion häufig feststellbar ist: Politische Fensterreden halten, während in der Realität die Möglichkeiten doch sehr gering sind. Man sollte sich mehr darauf besinnen, dass in der Region durch Projekte, durch kleinräumige Projekte, die Zusammenarbeit gefördert wird. Dass die Politik auch dazu steht, was sie sagt und damit die jungen Menschen unterstützt und ihnen die Möglichkeiten gibt. Das kann man nur fördern, indem man auch Geld in die Hand nimmt, um dort tätig zu werden. Denn die jungen Leute sind für eine Region das Pfund, mit dem sie arbeiten muss, und da geht es nur dann, wenn wir das gemeinsam unterstützen. Finanziell auch. Es geht nicht ohne finanzielle Unterstützung.
NT: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Nikolaus Teichmüller.