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Interview: Cornelius Ochmann

Cornelius Ochmann (geb. 1964), geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit (SdpZ). Experte für Europäische Politik, insbes. Beziehungen EU-Russland, Polen, Russland, Ukraine und Belarus. Von 1994 bis 2013 arbeitete er für die Bertelsmann-Stiftung, zudem beriet er das Auswärtige Amt und europäische Institutionen zum Thema EU-Ostpolitik. Seit Juni 2015 ist er Mitglied des Vorstandes des Forum Darczyńców und im wissenschaftlichen Beirat von „New Eastern Europe“. Seine letzte Studie „Im Osten was Neues? Das Bild Polens und Russlands in Deutschland“ erschien im Sommer 2013.

Frage: Sie sprechen in Ihrem Interview vom 1. August 2013 davon, unsere [die deutsch-polnischen, Anm. der Red.] Beziehungen zu vertiefen. Auf welchen Ebenen hat die SdpZ hierzu beigetragen und wo gibt es aus Ihrer Sicht weiterhin Bedarf dazu?
CO: Seit 25 Jahren trägt die Stiftung zur Vertiefung der Beziehung bei, indem sie viele Projekte fördert, sei es im kulturellen Bereich, sei es im Bildungsbereich, der in der letzten Zeit verstärkt im Fokus steht. Wir erhalten etwa 80-90 Bewerbungen im Kultur-Wettbewerb, etwa die Hälfte wird gefördert. Es kommt auf eine innovative Idee und die Beteiligung von breiteren Bevölkerungsgruppen an. Da hat eine Veranstaltung mit einigen wenigen Zuschauern das Nachsehen gegenüber von Formaten mit vielen Beteiligten, auch wenn es natürlich immer Ausnahmen gibt.

Im nächsten Jahr sollen aus Anlass des Jubiläums des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages wieder verstärkt Begegnungsprojekte gefördert werden, die dieses Thema behandeln. Im Dezember wird es hierzu einen Aufruf geben. So sollen die 25 Jahre der deutsch-polnischen Nachbarschaft sichtbar gemacht und breiteren Bevölkerungsgruppen vorgestellt werden.

Im Bereich der Bildungsprojekte gibt es beispielsweise die Ausstellung über den Warschauer Aufstand, die letztes Jahr in Berlin zu sehen war und nun in München eröffnet wird. Ergänzend wird in Warschau gerade eine Ausstellung über deutsche Bewohner der Stadt gezeigt, wie z.B. deutsche „Investoren“, die in den letzten 200 Jahren die Stadt mit aufgebaut haben, deren Geschichte aber in den letzten Jahrzehnten nicht im Vordergrund stand und so vielen Warschauern unbekannt ist.

Frage: Welche Bereiche der Arbeit der SdpZ fördern die Beteiligung an politischen und zivilgesellschaftlichen transnationalen Prozessen?
CO: Einer der Schwerpunkte der Stiftung ist die Förderung von Partizipations-Projekten in der Grenzregion. Angefangen in Stettin und bis Görlitz werden Vorhaben in der Grenzregion bevorzugt, weil diese seit dem Beitritt Polens zum Schengen-Raum im Jahre 2007 ganz neue Dimensionen angenommen haben. Es ist anders als z.B. vor 15 Jahren, als die meisten Projekte aus den Hauptstädten kamen. Es erreichen uns von dort immer noch viele Anträge, aber die Entwicklung in der Grenzregion ist stark. Zudem sind die Fortschritte in der Grenzregion von nachhaltiger Wirkung, es sind keine singulären Begegnungen und Konferenzen, sondern sie tragen dazu bei, dass die Gesellschaften besser miteinander arbeiten. Ob das in Frankfurt/Oder und Słubice oder in Görlitz-Zgorzelec ist, es gibt viele solcher Beispiele und Vorhaben. Auch Projekte von Schloß Trebnitz begutachten wir gerne, so hat die Stiftung beispielsweise das Netzwerk für transnationale Partizipation gefördert.

Frage: Wo sehen Sie Möglichkeiten für transnationale, zivilgesellschaftliche Partizipation mit Blick auf die deutsch-polnische Grenzregion? Gibt es Ideen, wie die Stiftung den Prozess unterstützen könnte?
CO: Sicherlich ist es die finanzielle Unterstützung, sei es bei Theater-, Sport- und Kulturprojekten, die im nächsten Jahr aus Anlass des 25. Jubiläums des Deutsch-Polnischen Nachbarschaftsvertrages sogar zu 80% statt der sonstigen 60% gefördert werden. Grundsätzlich wird sich daher die Strategie der Stiftung nicht ändern, nur dass wir die Fördererfahrung der letzten Jahre nutzen und um den trilateralen Aspekt erweitern möchten. Hierbei geht es uns in erster Linie um Osteuropa, z.B. die Ukraine, Belarus oder Russland, wo das Kaliningrader Gebiet für uns im Vordergrund steht. Moldau ist ebenfalls im Fokus, hier haben wir schon ein erstes Projekt gefördert. Aktuell ermutigen wir deutsche und polnische Träger dazu, ihre jahrelange Partnerschaft um osteuropäische Organisationen zu erweitern und so ihre Anträge qualitativ zu verbessern. So erweiterten die DPG-Organisationen (Deutsch-Polnische Gesellschaft) aus Bielefeld und Rzeszow ihre Konferenz in Polen um Vertreter aus ukrainischen Organisationen – auf diese Weise werden die jahrzehntelangen Erfahrungen der deutsch-polnischen Zusammenarbeit in den Osten Europas getragen. Das ist unserer Meinung nach die Richtung, in die sich die deutsch-polnische Kooperation hin entwickeln könnte.

Frage: Wie kann die SdpZ zu einem konstruktiven Umgang mit der wachsenden EU-kritischen Grundhaltung vieler Bürger in Polen und Deutschland beitragen, bzw. gibt es hierzu Planungen und funktionierende Formate?
CO: Wir organisieren in Berlin den „Gesprächskreis Polen“, in dem wir europäische Themen mit polnischen Referenten unter die Lupe nehmen. In Warschau veranstalten wir den „Gesprächskreis Europa“, wo es nicht alleine um bilaterale deutsch-polnische Fragestellungen geht, sondern wir mit Experten aus den beiden Ländern die Perspektiven der beiden Länder auf Europa beleuchten. Fakt ist, dass die Bevölkerung Polens wie Deutschlands kritischer geworden ist, auch wenn wir im Vergleich zu Frankreich beispielsweise, wo eine Europa-kritische Partei 30% der Stimmen erhielt, noch relativ gut da stehen. Aber wir müssen noch weiter über Europa reden, die EU erklären und miteinander diskutieren. Gleiches gilt für das Thema Flüchtlinge, wo man in Deutschland und Polen unterschiedlicher Meinung ist.

Frage: Damit haben Sie meiner nächsten Frage vorgegriffen, weil es heutzutage kein Gespräch gibt, wo man das Thema Flüchtlinge nicht anspricht. Wie sehen Sie diese Thematik im deutsch-polnischen Kontext?
CO: Ja, sicher, das ist ein Thema. Wenn ich mir beispielsweise die demographische Situation in Polen anschaue, ist diese mit der deutschen vergleichbar, nur dass sie mit einer Verspätung von etwa 15 Jahren eintreffen wird. Es gibt Prognosen, wonach sich in den nächsten Jahren die Zahl der polnischen Studenten um 30-40% verringern wird. Diese Entwicklung wird auch andere Bereiche betreffen. So werden wir in Deutschland in fünf Jahren massiv nach Arbeitskräften suchen, in Polen wird es in 12-13 Jahren anfangen. Ich rate daher dringend dazu, die Flüchtlingsthematik mit der demographischen Frage zu verbinden. Und diese Herausforderungen gemeinsam in Deutschland und Polen zu diskutieren und anzugehen. Langfristig wären wir gut beraten, das Thema europäisch zu behandeln und nicht als ein deutsches, italienisches oder griechisches Problem zu betrachten. Ein Scheitern in diesem Bereich könnte ein Scheitern Europas bedeuten. Deswegen bringt ein gegenseitiges Beschuldigen nichts, sondern nur ein gemeinsames Vorgehen hilft.

Frage: Gibt es aus Ihrer Sicht wichtige Themen für die Stiftung, die Sie noch ansprechen möchten?
CO: Ja, da denke ich an die Zivilgesellschaft, die unabhängig von politischen Großwetter-Lagen ihre Arbeit kontinuierlich fortsetzt. Wir werden auch im Jubiläumsjahr gute Projekte und erfahrene Träger fördern, aber der Fokus wird etwas mehr auf breiten Bevölkerungsschichten liegen. So wie das Deutsch-Polnische Jugendwerk sich der Jugend widmet, möchten wir uns auf die breite Zivilgesellschaft konzentrieren.

Das ist ein gutes Signal für die Zukunft unserer Arbeit. Ich bedanke mich sehr für das Gespräch.

Das Interview führte Darius Müller am 10.11.2015.

www.sdpz.org